Jetzt kommt es auf schlanke Finanzierungsmechanismen und effiziente Fahrzeugdigitalisierung an.
Bahnindustrie erzielt im ersten Halbjahr 2023 einen Rekordumsatz von 7,8 Milliarden Euro. Wachstum findet maßgeblich im Ausland statt. Der Auftragseingang steigt im ersten Halbjahr 2023 im In- wie im Ausland auf insgesamt 12,2 Milliarden Euro.
Bahnindustrie spürt politischen Rückenwind in Deutschland und fordert jetzt optimierte Finanzierungsmechanismen, Preisgleitung in Einzel- wie bestehenden Rahmenverträgen sowie ein Bundeskonzept für Fahrzeugdigitalisierung, um weiter Tempo aufnehmen zu können.
Der Verband der Bahnindustrie in Deutschland (VDB) e.V. zieht Bilanz für das erste Halbjahr 2023: Mit einem Plus von knapp 15 Prozent verzeichnet die Bahnindustrie in Deutschland einen Rekordumsatz von 7,8 Milliarden Euro. Das Wachstum findet maßgeblich im Ausland statt, das Exportgeschäft macht rund 40 Prozent des gesamten Umsatzes aus. Der Heimatmarkt schrumpft hingegen um 8 Prozent auf knapp 5 Milliarden Euro. Das inländische Infrastrukturgeschäft stagniert weiterhin. „Produkte der Bahnindustrie in Deutschland sind weltweit gefragt, wir bedienen einen klaren Wachstumsmarkt. Aber Bundesinvestitionen müssen erkennbar schneller bei der Bahnindustrie ankommen. Jeder Investitionseuro in die Infrastruktur, der sich nicht in unseren Zahlen niederschlägt, ist de facto auch nicht verbaut worden.“, sagte VDB-Präsident Andre Rodenbeck. Der Blick auf anstehende Projekte zeige deutliche Besserung.
Der Auftragseingang der Bahnindustrie in Deutschland wächst im ersten Halbjahr auf 12,2 Milliarden Euro an und liegt damit 36 Prozent über dem vergleichbaren Vorjahreswert. Auslandsaufträge in der Infrastruktursparte verdoppeln sich auf 1,2 Milliarden Euro. Auch der Heimatmarkt wächst um 15 Prozent. „Dieses Jahr steht im Zeichen des Aufbruchs. Der politische Rückendwind bringt Bewegung in den Schienensektor. Jetzt müssen wir letzte regulatorische Bremsklötze lösen, um deutlich mehr Geschwindigkeit aufnehmen zu können.“, so Rodenbeck.
Auch die Inflation stelle die Bahnindustrie weiter vor Herausforderungen: „Es besteht nach wie vor kaum eine Möglichkeit der fairen Mehrkostenteilung, die Last und das Risiko von Kostensteigerungen liegt beinahe vollständig beim Hersteller. Die Folgen sind unverhältnismäßige, teilweise existenzgefährdende Belastungen trotz starker Auftragslage, besonders bei mittelständischen Unternehmen in Deutschland.“. Es müsste dringend eine Preisgleitung in Einzel- und bestehenden Rahmenverträgen vereinbart werden. In der Praxis sei das weiterhin die Ausnahme.
Der VDB lobt die angestoßenen Reformen für die Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung und begrüßt die angekündigten Investitionen des Bundes in die Schiene. Damit die Mittel schnell in Schienenprojekte übersetzt werden können, müssten überkomplexe Finanzmechanismen verschlankt werden, so Rodenbeck: „Ziel muss die Reduzierung der diversen Einzelvereinbarungen auf eine überjährige Abmachung nach Logik der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung sein, um finanzielle Planungssicherheit für die Infrastruktursparte und letztlich für die ganze Branche zu schaffen." Dabei müssten Digitalisierungsmittel über eine Zweckbindung vor potenzieller Kannibalisierung und Umwidmung geschützt werden.
Für eine beschleunigte Digitalisierung komme es auch auf die bevorstehende Novellierung des Bundesschienenwegeausbaugesetzes (BSWAG) an, so VDB-Hauptgeschäftsführerin Sarah Stark. Der VDB befürwortet die Schaffung zusätzlicher Finanzierungsoptionen, insbesondere die Erweiterung des BSWAG für die Förderung von IT-Leistungen, konkret also Komponenten für die Digitalisierung des Netzes. Derzeit beschränke sich der Entwurf jedoch auf sogenannte „ortsfeste Betriebsleitsysteme“, was die Finanzierung von in Fahrzeugen angebrachten Infrastrukturelementen, wie den sogenannten On-Board Units, ausschließt. „Das BSWAG sollte so angepasst werden, dass die Förderung von infrastruktur- und fahrzeugseitiger Ausrüstung mit Betriebsleit-, Kommunikations-, Kapazitäts- und Verkehrsmanagementsystemen möglich ist und Kosten für Entwicklungs-, Zulassungs- und IT-Leistungen bundesseitig finanziert werden. Nur wenn der Bund anfängt, die Digitalisierung gesamtheitlich zu steuern, wird uns das Mammutprojekt Digitale Schiene Deutschland gelingen.“, sagte Stark.
Darüber hinaus bedürfe die digitale Fahrzeugausrüstung mit ETCS einer zentralen, unabhängigen Koordinierungsstelle sowie einer Differenzierung der Umrüstung nach Fahrzeugtyp. „Für den deutschlandweiten ETCS-Rollout müssen knapp 13.000 Schienenfahrzeuge umgerüstet werden, die sich in mehr als 300 verschiedene Varianten unterteilen lassen, alle unterschiedlich alt sind und diversen Haltern gehören.“, erklärte VDB-Geschäftsführer Axel Schuppe und warnte weiter „Die Kosten einer unkoordinierten Umrüstung in Teilschritten wären ungleich höher. Zudem würde dies auch schlicht unsere Personal- und Werkstattkapazitäten überschreiten.“ Noch in diesem Jahr müssten die Grundlagen für eine Koordinierung und verbindliche Finanzierung festgelegt sowie erste Projekte gestartet werden. Die Bahnindustrie steht mit Fahrzeugherstellern, mindestens drei mittelständischen Konsortien und zahlreichen Zulieferpartnern für die digitale Fahrzeugausrüstung bereit.