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VDB-Positionspapiere Aktionsplan Bahnindustrie

Schiene ist Industriepolitik

Schiene ist Industriepolitik. Die Bahnindustrie in Deutschland ist ein wichtiger Arbeitgeber, Innovator und Wirtschaftstreiber. Schienentechnologien steigern die Kapazität, Resilienz und Energieeffizienz des Eisenbahnverkehrs, während sie Emissionen im Verkehr reduzieren. Doch ausbleibende Investitionssicherheit, eine zunehmende Bürokratisierung, der verzerrte internationale Wettbewerb sowie der Fachkräftemangel bremsen die Bahnindustrie in ihrem Potenzial aus.

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Der VDB fordert die Bundesregierung dazu auf, neue grüne Leitmärkte durch gezielte Rahmensetzung anzureizen. Europa wird der Schritt zum ersten klimaneutralen Kontinent erst dann gelingen, wenn die nachhaltige Transformation, den Industriestandort und dessen Wettbewerbsfähigkeit steigert statt sie zu gefährden. Nur so wird das Modell der Dekarbonisierung weltweit Nachahmer finden.

Die Wettbewerbsfähigkeit der Bahnindustrie muss in sechs zentralen Aktionsfeldern strategisch gestärkt werden.

Aktionsfeld 1: Verkehrspolitik als Industriepolitik

Die Schiene muss als innovative und global relevante Mobilitätsindustrie zu einem prioritären Sektor avancieren, um ihrer tragenden Rolle für Wirtschaft, Gesellschaft und Klimaschutz gerecht werden zu können.

  • Planungssicherheit durch Investitionen: Verlässlich, verbindlich und überjährig. Dem steigenden Bedarf angemessen. In Spitzentechnologien „Made in Germany“.
  • Forschungsförderung: Forschungs- und Entwicklungsprogramme für den Schienenbereich weiter ausbauen sowie die Position der Schiene in horizontalen Förderprogrammen stärken (z. B. Produktionstechnologien, KI, autonomes Fahren). Die Forschungszulage muss international wettbewerbsfähig weiterentwickelt werden.

Der Fachkräftemangel betrifft, insbesondere durch den demographischen Wandel, auch zunehmend die Bahnindustrie.

  • Spezialisierte Ausbildungen müssen gewährleistet und relevante universitäre Lehrstühle konsequent nachbesetzt werden.
  • Qualifikationen ausländischer Fachkräfte müssen schneller anerkannt und bürokratische Hürden für die Fachkräfteeinwanderung weiter gesenkt werden. Ggf. ist ein beschleunigtes Verfahren für den Aufenthalt von Fachkräften im Schienensektor zu prüfen, wie es bei Ärztinnen und Ärzten bereits Praxis ist.
  • Sichtbarkeit: Die Eisenbahnbranche muss als systemrelevante Berufsgruppe über Branchen- und Berufskampagnen des Bundes sichtbarer werden.

Aktionsfeld 2: Optimierte Rahmenbedingungen für starke Standorte und Wertschöpfung

Es müssen attraktivere Rahmenbedingungen für deutsche Standorte geschaffen werden.

  • Die Belastung durch Energie- und Stromkosten für Produktionsstandorte müssen gesenkt werden.
  • Insbesondere vom Bund geförderte Innovationen (Bsp. grüner Stahl) müssen in öffentlichen Vergaben belohnt und Klimainnovationen auch über die Pilotphase hinaus unterstützt werden.

Aktionsfeld 3: Moderne Vergabeverfahren für mehr Innovation im Markt.

Moderne Vergabeverfahren müssen Innovationen belohnen und schneller in den Alltag der Menschen übersetzen. Im Bahnsektor werden noch 92% der Ausschreibung zu 100% nach billigstem Anschaffungspreis vergeben. Innovationen fallen so zunächst durch den Rost, der Wettbewerb um die beste nachhaltigste Lösung wird ausgebremst und das Risiko für höhere Kosten in der Entwicklung und im gesamten Lebenszyklus sowie für Nachträge und Budgetüberschreitungen steigt.

  • Bestehendes Recht umsetzen: MEAT-Kriterien (Art. 82f. 2014/25/ EU; § 52f. SektVO) in öffentlichen Vergaben mit 70 Prozent gewichten sowie „Made in Europe“ in Vergaben stärker gewichten (RL 2014/25/EU | § 55 Abs. 1 SektVO).
  • Umsetzungshilfen bereitstellen: Ausschreibende Stellen müssen, in Abstimmung mit Ländern und Aufgabenträgern, über öffentliche Help-Desks, Kompetenzzentren und Trainings für neue Formen der Vergabe entsprechend geschult und unterstützt werden.

Aktionsfeld 4: Fairer, internationaler Wettbewerb

Die Bahnindustrie in Deutschland ist eine international erfolgreiche Exportindustrie. 35% ihres Umsatzes generiert sie im Export, knapp 40% der Auftragseingänge stammten 2023 aus dem Ausland. Doch der internationale Wettbewerb gerät im Bahnmarkt zunehmend in Schieflage: Weltweit sind für europäische Unternehmen lediglich 59% des Bahnmarktes zugänglich. 2022 waren es noch 62%. Der europäischen Bahnindustrie entgehen so 3 Mrd. EUR im Jahr. Der Bund muss der Bahnindustrie in Deutschland und Europa im Binnenmarkt einen fairen, Wettbewerb ermöglichen und ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit strategisch stärken.

  • Bestehendes Recht anwenden: Die bestehenden EU-Instrumente gegen Verzerrungen des internationalen Wettbewerbs unterstützen und stärker in die Anwendung bringen: EU-Wertschöpfung in öffentlicher Beschaffung (2014/25/EU | § 55 Abs. 1 SektVO) stärken und die Anwendung der Foreign Subsidy Regulation unterstützen.
  • Bahnindustrie auf EU-Ebene strategisch stärken: Stärker im European Green Industrial Deal platzieren, der bislang vor allem auf Energiepolitik fokussiert ist. Schiene stärker in Global Gateway mitdenken. Projekte aus GGW in der Vergabe an MEAT-Kriterien und EU-Wertschöpfung knüpfen.
  • BMWK-Exportförderprogramm weiter stärken und vor Einsparungen bewahren. Politische Begleitung bei Maßnahmen mit strategischer Bedeutung verstärken.
  • Hermesdeckungen für Projekte mit EPC-Strukturen zugänglicher machen und offener gestalten, indem nicht nur der deutsche Anteil, sondern das Gesamtvorhaben abgesichert werden kann.

Aktionsfeld 5: Entlastung von KMU durch Entbürokratisierung

Wachsende Bürokratie inklusive unverändert aufwändiger Planungs- und Genehmigungsverfahren ist eine der großen Herausforderungen, insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen am Standort Deutschland. Insbesondere KMU müssen durch Bürokratieabbau entlastet werden.

  • Berichterstattungs- und Nachweispflichten praxisnah gestalten und wo möglich reduzieren (Bsp. Cyber Resilience Act, Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, Carbon Border Adjustment Mechanism).
  • Zulassung vereinfachen und beschleunigen: Der Bund muss sich auf EU-Ebene dafür einsetzen, dass Genehmigungsverfahren für die Zulassung und das Inverkehrbringen von Schienenfahrzeugen einerseits und Maschinen und Geräte für den Infrastrukturbau sowie Leit- und Sicherungstechnik andererseits gestrafft werden. Für die Vielzahl notwendiger Umrüstungen von Schienenfahrzeugen für die Digitalisierung sollte ein vereinfachter Zulassungsrahmen geschaffen werden, zusammen mit gestärkter Verantwortung von Haltern und Herstellern und mit administrativen Vereinfachungen.
  • Für die Planungssicherheit dürfen nur vollständige und klare technische Anforderungen für Infrastruktur und Schienenfahrzeuge verabschiedet werden.
  • Die für europäische Zulassung zuständige Behörde, die European Railway Agency (ERA), benötigt dringend ausreichend Finanzierung aus dem EU-Jahresbudget.

Aktionsfeld 6: Optimierte Finanzierungsbedingungen für Unternehmen der deutschen Bahnindustrie

Mehr staatliche Investitionen in die Schiene erfordern mehr Zwischenfinanzierung von Banken. Bankkredite sind aufgrund immer strengerer Rahmenbedingungen für Kreditvergaben deutlich teurer geworden. Darüber hinaus erhalten Auftragnehmer, an die staatliche Aufträge fest vergebene wurden, zunehmend Finanzierungsabsagen. Bürgschaften können diese Lücke füllen und die Sicherung der dünner gewordenen Liquiditätsdecke (nach Corona, Finanz- und Energiekrise sowie Rezession) unterstützen. Dies ist insbesondere für familiengeführte Mittelständler relevant, die nach wie vor die Ideenschmiede bei der Komponentenzulieferung an Systemhäuser sind und viele als “Hidden Champions” das Rückgrat der deutschen Industrie bilden.

Bundesbürgschaften vereinfachen: Viele bahnindustrielle KMU finanzieren sich ausschließlich über An- und Zwischenzahlungen der Kunden.

  • Diese Kundenanzahlungen sind üblicherweise durch eine Bürgschaftslinie oder Avallinie abgesichert, die ein Bankenkonsortium zur Verfügung stellt.
  • Bei den zu verbürgenden Zahlungen handelt es sich demnach um Anzahlungen der Kunden, also deutscher Verkehrsbetriebe zum Ausbau des ÖPNVs.
  • In den letzten Monaten müssen Unternehmen (konkretes Bsp. Heiterblick) die durch die Corona-Krise und Energie- und Materialkosten entstandenen Kostensteigerungen nachverhandeln. Doch durch das größer gewordene Auftragsvolumen muss dann auch die Bürgschaftslinie entsprechend angepasst werden und im Zuge dessen den Banken auch ein Eigenkapitalstärkungsprozess zugesichert werden.
  • Deshalb müssen die Zugangsbedingungen zu Bundesbürgschaften für bahnindustrielle Unternehmen optimiert werden, deren Vorhaben im Sinne der klima- und gesellschaftspolitischen Herausforderungen volkswirtschaftlich förderungswürdig sind.

Vorauszahlungen zum Standard machen: Unternehmen der Bahnindustrie werden zusätzlich durch schwierige Zahlungsbedingungen in Verträgen mit öffentlichen Stellen belastet.

  • Teils werden Anzahlungen für langjährige Projekte ausgeschlossen während gleichzeitig Bürgschaften (für Rahmenverträge und jedes Projekt zusätzlich) von Auftragsnehmern verlangt werden.
  • Als Folge müssen Hersteller zu höheren Kapitalbeschaffungs- und Absicherungskosten kalkulieren als die Auftraggeber dies gekonnt hätten, um überhaupt ein Angebot legen zu können.
  • Bei einer deutlichen Zunahme der Projekte, sind die Möglichkeiten jedoch stark begrenzt. In der Folge drohen deutsche Unternehmen von den Auftragszuwächsen ausgeschlossen zu werden.
  • Als Konsequenz wird die aktuelle Zahlungspraxis öffentlicher Stellen von der Industrie gezwungenermaßen eingepreist, was wiederum die Gesamtkosten des Bundes, der Länder oder Kommunen für Schienenprojekte treibt.
  • Wie im Ausland üblich, müssen Vorauszahlungen auch in Deutschland in öffentlichen Aufträgen an die Bahnindustrie zum Standard werden.

Aktionsplan Bahnindustrie

Schiene ist Industriepolitik

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