Investitionen in den Schienenpersonennahverkehr (SPNV) sind Investitionen in nachhaltige Mobilität. Denn der SPNV ist deutlich klimaschonender und sicherer als der Straßenverkehr. Und: Der Schienenverkehr in unseren Städten und Regionen wird immer beliebter. Doch die Politik manövriert den SPNV sehenden Auges in eine prekäre Situation. Erstens ist er massiv unterfinanziert: Die Regionalisierungsmittel – die Investitionen des Bundes in den SPNV – sind nach Kürzungen unzureichend. Zweitens gibt es derzeit keine verlässliche Planung. Beides gefährdet fundamental den Erfolg des SPNV. Deshalb müssen sich Bund und Länder endlich – wie gesetzlich gefordert – auf eine neue Regelung verständigen. Wie die aussehen sollte und warum sie jetzt notwendig ist? – Mit diesem Memo möchte der VDB Fakten und Argumente vorstellen.
Mehr investieren: Die Bundesregierung sollte die Mittel auf mindestens 8 Milliarden Euro pro Jahr anheben. Laut einem Gutachten für die Verkehrsministerkonferenz benötigt der SPNV jährlich sogar Regionalisierungsmittel in Höhe von 8,5 Milliarden Euro, um auch in Zukunft attraktiv zu bleiben. Aktuell liegen die Mittel bei nur 7,4 Milliarden Euro. Die Regionalisierungsmittel müssen zweckgebunden, ihre Verwendung muss transparent sein.
Dynamisch investieren: Die jährliche Dynamisierung der Mittel muss deutlich erhöht werden. Auf künftig mindestens 2,5 Prozent. Um steigende Trassen-, Stations- und Energiepreise abzufangen, reicht die bislang vorgesehene jährliche Anhebung um 1,5 Prozent nicht. Sollte eine Dynamisierung in Höhe von 2,5 Prozent jährlich wegen deutlich gestiegener Entgelte für die Infrastrukturnutzung nicht ausreichen, wäre die Differenz durch den Bund auszugleichen.
Verlässlich investieren: Regionalisierungsmittel müssen für rund 15 Jahre festgeschrieben werden. Denn Verträge zwischen den Verkehrsunternehmen und den Zugherstellern werden auf Jahre im Voraus abgeschlossen. Planungssicherheit ist für den langfristigen Erfolg des SPNV entscheidend.
Regionalisierungsmittel zahlt der Bund den Ländern für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Im Zuge der Bahnreform Mitte der 1990er Jahre hat sich der Bund aus der Zuständigkeit für den Regionalverkehr zurückgezogen und die Aufgaben auf die Länder übertragen. Die damit verbundenen Kosten hat der Bund den Ländern durch Regionalisierungsmittel auszugleichen. In Artikel 106a Satz 1 regelt das Grundgesetz dazu: „Den Ländern steht ab 1. Januar 1996 für den öffentlichen Personennahverkehr ein Betrag aus dem Steueraufkommen des Bundes zu.“ Das Nähere regelt das Regionalisierungsgesetz (RegG). Es bedarf der Zustimmung des Bundesrates. Gemäß dieses Gesetzes ist „insbesondere der Schienenpersonennahverkehr zu finanzieren“ (§ 6 Abs. 1 RegG). Die Regionalisierungsmittel sind mithin zuvörderst dem SPNV zugedacht. In geringerem Umfang kann indes auch der ÖPNV allgemein (Bus- und Bahnverkehre) finanziert werden.
Ja. Der SPNV boomt. Allein zwischen 2002 und 2012 ist das Angebot um rund ein Drittel gestiegen. Heute befördern die Unternehmen im SPNV täglich rund 27 Millionen Menschen. Taktgeber ist vor allem der Wettbewerb zwischen den verschiedenen Bahnbetreibern. Insbesondere in ländlichen Regionen ist der SPNV eine wichtige Voraussetzung für Mobilität – und ein entscheidender Wirtschaftsfaktor.
Weil der heimische Markt für Regionaltriebzüge, Straßen-, U- und S-Bahnen sowohl für die Zughersteller als auch für die zahlreichen mittelständischen Zulieferer einer der wichtigsten Märkte überhaupt ist. Sein Volumen beläuft sich auf jährlich rund 1 bis 1,5 Milliarden Euro. Diese hohe wirtschaftliche Bedeutung für die Bahnindustrie in Deutschland gilt umso mehr, als der SPNV nach wie vor einen großen Bedarf an modernen Zügen für Neu- und Ersatzbeschaffungen hat.
Und mehr noch: Ein hochmoderner Regionalverkehr in unserem Land dient auch als Schaufenster für Lösungen „made in Germany“. Das ist für den Export sehr wichtig. Und die Exportquote der Bahnindustrie in Deutschland liegt bei rund 50 Prozent. Diese Hightech-Branche sichert Beschäftigung für über 50.000 Menschen in Deutschland.
Weil die Fahrzeuge als wichtigster Faktor für die Fahrgastnachfrage gelten: Beim Einsatz neuer Fahrzeuge steigt, so empirische Erhebungen, die Passagierzahl um gut 10 Prozent. Hinzu kommen das Fahrplanangebot und Ticketpreise. Moderne Fahrzeuge bedeuten ressourcenschonende Mobilität – und komfortable: von innovativen Heizungs- und Klimaanlagen über Fahrgastinformation bis zu neuen WC-Anlagen. Auch die Barrierefreiheit wurde wesentlich verbessert.
Von 2002 bis 2011 konnten die Aufgabenträger des SPNV die Betriebsleistung, das heißt die gefahrenen Zugkilometer, von 604 auf 642 Millionen Kilometer steigern (plus 6 Prozent). Gleichzeitig stieg die Beförderungsleistung, also die Zahl der von Fahrgästen im SPNV zurückgelegten Kilometer, von 38 Milliarden Personenkilometer auf fast 50 Milliarden Personenkilometer im Jahr 2011 (plus 30 Prozent). Dass die Fahrgastkilometer deutlich schneller gestiegen sind als die Zugkilometer liegt daran, dass sich die Auslastung der Züge stetig verbessert hat und sich attraktive Verkehrsangebote mit modernen Zügen zunehmender Beliebtheit erfreuen.
Der SPNV finanziert sich aus zwei Quellen: Den Regionalisierungsmitteln und den Fahrgastentgelten. Sinken die Regionalisierungsmittel, steigt die Notwendigkeit der Kofinanzierung, zum Beispiel durch höhere Fahrkartenpreise. Doch bei höheren Ticketpreisen wird der SPNV weniger attraktiv. Das Ergebnis: Viele Menschen steigen dann wieder auf den Pkw um. Ohne die Regionalisierungsmittel gäbe es den SPNV in seiner heutigen hohen Leistungsfähigkeit nicht. Wenn Mittel fehlen, gefährdet dies direkt den Erfolg des SPNV. Schlimmstenfalls können Verkehre auch eingestellt werden.
Für das Jahr 2015 sind 7,4 Milliarden Euro vorgesehen.
Nein. Notwendig ist erstens eine jährliche Erhöhung der Regionalisierungsmittel um 2,5 Prozent. Aber nur 1,5 Prozent sind für 2015 vorgesehen. Nötig sind zweitens mindestens 8 Milliarden Euro jährlich (Ist 2015: 7,4 Milliarden Euro), gutachterlich unterlegt sogar 8,5 Milliarden Euro, wie sie die Bundesländer fordern. Zudem fehlt den Aufgabenträgern die dringend notwendige langfristige finanzielle Planungssicherheit.
Weil die bisher zur Verfügung gestellten Mittel schon lange nicht mehr ausreichen, um die steigenden Kosten der SPNV-Betreiber zu decken. So müssen die Unternehmen beispielsweise jedes Jahr höhere Entgelte für die Nutzung von Trassen und Stationen zahlen. Zusammen mit den – ebenfalls deutlich gestiegenen – Energiekosten verzehren Trassen- und Stationsentgelte inzwischen mehr als die Hälfte der Regionalisierungsmittel. Während diese Entgelte zwischen 2002 und 2012 um 37 Prozent gestiegen sind, wurden die Regionalisierungsmittel nur um fünf Prozent angehoben.
Nein. Investitionen sichern künftigen Wohlstand. Die Forderung nach höheren Investitionen in den SPNV – nichts anderes sind Regionalisierungsmittel – ist deshalb richtig. Und maßvoll. Denn diese Mittel sind schon mehrfach stark gekürzt worden, zuletzt 2006 für den Zeitraum bis 2014. Angesichts empfindlicher Einschnitte müssen die Finanzmittel nun deutlich erhöht werden. Und: Wären die Regionalisierungsmittel ohne Haushaltskürzungen („Koch-Steinbrück“) bis 2014 regulär fortgeschrieben worden, läge das Volumen heute rechnerisch bei 8,185 Milliarden Euro. Dies liegt nah an der aktuellen Forderung der Länder. Mit Blick auf das deutlich ausgeweitete Leistungsangebot bei steigenden Nettokosten ist die Forderung nach höheren Investitionen keineswegs unverhältnismäßig.
Für das Jahr 2014 stand ursprünglich die Revision des Regionalisierungsgesetzes an. Dabei hätte die jährliche Höhe der Mittel angepasst werden müssen. Doch eine Entscheidung darüber wurde Mal um Mal hinausgezögert. Letztlich hat die Politik im Dezember 2014 nur eine Verlängerung der Mittel um ein Jahr zugesagt. Der Bundesrat hat im November 2014 einen eigenen Gesetzentwurf zur Änderung des RegG vorgelegt. Dieser sieht, gutachterlich unterlegt, eine Aufstockung auf 8,5 Milliarden Euro pro Jahr, eine Dynamisierungvon zwei Prozent und eine Veränderung des Verteilschlüssels der Länder („Kieler Schlüssel“) vor. Im März 2015 hat der Bundesrat verlangt, zum vom Deutschen Bundestag verabschiedeten Gesetz den Vermittlungsausschuss einzuberufen. Eine politische Entscheidung ist überfällig.
Die Mobilität der Bürgerinnen und Bürger ist ein Eckpfeiler der Daseinsvorsorge. Hier steht der Bund in der Pflicht. Zugleich ist die Transparenz der Mittelverwendung bedeutsam. Gemeinsam tragen Bund und Länder hohe Verantwortung, die Basis für einen ressourcenschonenden, kundenfreundlichen SPNV in Deutschland zu sichern.
Nein. Die Regionalisierungsmittel sind nicht Gegenstand der allgemeinen föderalen Finanzbeziehungen, sondern ein Resultat der Bahnreform. Bund und Länder befassen sich in diesem Jahr mit einer Reform der Bund-Länder-Finanzarchitektur. Doch diese Verhandlungen dürfen keine aufschiebende Wirkung haben für die Entscheidung über SPNV-Mittel. Es darf nicht sein, dass die Regionalisierungsmittel im Paket mit föderalen Finanzierungsfragen verhandelt und so zur Manövriermasse zwischen Bund und Ländern werden.
Weil Aufgabenträger, Verkehrsunternehmen, Industrie und auch Fahrgäste übers Jahr hinaus kalkulieren müssen. Verträge, beispielsweise über Zuglieferungen, werden im SPNV auf Jahre im Voraus abgeschlossen. Langlaufende Verträge prägen den SPNV. Deshalb müssen Mittel für rund 15 Jahre verlässlich sein.
Weil der SPNV in einer Hängepartie Schaden nimmt. In den kommenden fünf Jahren stehen weit mehr Vergaben an als in den Jahren zuvor. Dafür ist eine gesetzlich gesicherte Finanzierung unabdingbar. So werden zahlreiche Bahnnetze in Baden-Württemberg erstmalig im Wettbewerb vergeben – insgesamt in einer Größenordnung von etwa 30 Millionen Zugkilometern. Allein der Finanzierungsbedarf der dort anstehenden Verkehre summiert sich bei einer Laufzeit von acht bis 15 Jahren auf rund zehn Milliarden Euro. Je nach Verkehrskonzept wird der Bedarf bei etwa 300 neuen Schienenfahrzeugen liegen. Weitere große Netze wie die S-Bahn München mit etwa 25 Millionen Zugkilometern Betriebsleistung und die S-Bahn Rhein-Ruhr stehen ebenfalls zur Vergabe an. Und die Situation verschärft sich: Experten erwarten das Allzeithoch der Ausschreibungen zwischen 2016 und 2020.
Wenn infolge weiteren politischen Taktierens die Manövrierfähigkeit fehlte, hätte dies sehr ernste Folgen: Im laufenden Jahr stehen bei zahlreichen Betrieben Verkehrsbestellungen an – Investitionen, die ohne eine sichere Mittelzusage nicht umsetzbar sind. Statt den SPNV entsprechend der weiter steigenden Nachfrage auszubauen, würden die Aufgabenträger wegen der unsicheren Finanzierung die Verkehrsangebote einschränken und Betriebsleistungen abbestellen müssen. Das Nachsehen hätten all jene Menschen, die den SPNV nutzen möchten oder darauf angewiesen sind. Viele Fahrgäste würden dem SPNV auf Dauer verlorengehen. Es drohen Abbestellungen der Länder im SPNV und deutliche Fahrpreiserhöhungen. Vom Verlust an Arbeitsplätzen ganz zu schweigen. In städtischen wie in ländlichen Regionen würden viele Bürgerinnen und Bürger im alltäglichen Leben das Nachsehen haben, sollten die Mittel für den SPNV nicht angemessen gestärkt werden.
Ja. Und zwar erheblich. Wer den Zug anstelle des Autos nutzen kann, spart Energie und CO2-Emissionen. Regionalzüge reduzieren den Individualverkehr – und Emissionen. So konnte trotz gestiegener Verkehrsleistung der absolute Energieverbrauch des schienengebundenen Regionalverkehrs in der Zeit von 2000 bis 2012 um mehr als 21 Prozent gesenkt werden. Möglich machen das innovative Technologien. Der umweltfreundliche SPNV trägt so dazu bei, die Klimaschutzziele der Bundesregierung zu erreichen. Ein Beispiel: Eine Person, die auf ihrem täglichen Arbeitsweg insgesamt 50 km mit dem Auto zurücklegt, verursacht jährlich rund 1,5 t CO2. Der Nutzer eines Regionalzuges verursacht dagegen auf derselben Strecke nur halb so viele Emissionen.
Wie aber sollen sich immer mehr Bürgerinnen und Bürger für eine klima- und umweltfreundliche Mobilität entscheiden, wenn öffentliche Verkehrsangebote im städtischen und regionalen Raum mangels angemessener Finanzierung stagnieren oder sogar gestrichen werden? Der Erfolg dieser Angebote seit Mitte der 90er Jahre ist vor allem modernen, komfortablen Fahrzeugen zu verdanken. Ein Zweites kommt hinzu: Die weniger attraktiven Angebote würden obendrein noch teurer. Je niedriger nämlich die Regionalisierungsmittel, desto höher die Ticketpreise. Die Konsequenz wäre ein stark zunehmender Autoverkehr. Das belastet insbesondere die Menschen in den Ballungsgebieten durch steigende Lärm- und Feinstaubemissionen. Eine solche Entwicklung stünde im scharfen Widerspruch zu den Umwelt- und Klimaschutzzielen der Bundesregierung.
Ja. Sowohl die Verkehrsministerkonferenz (KCW) als auch der Bund (IGES) haben Gutachten beauftragt. Die ermittelten Zahlen unterscheiden sich zwar. Das Ergebnis ist aber einheitlich: Die Unterfinanzierung muss beendet werden. Die Gutachter sind sich einig, dass der Finanzierungssockel signifikant erhöht werden müsse. Sie stimmen überdies darin überein, dass eine höhere Dynamisierung unverzichtbar sei. Der vom Bund beauftragte Gutachter ermittelt eine Steigerung von 2,7 Prozent jährlich – weit mehr als die vom Bund derzeit gewährte Höhe von 1,5 Prozent. Nachstehend zentrale Resultate: